Leipzig helps Ukraine e.V.
Ein solidarisches Netzwerk für die Ukraine
Text: Sophie Kolbinger
Ein Grundproblem vieler neuer Initiativen ist es, Menschen zu erreichen. Es braucht immer Unterstützung, Know-how und Aufmerksamkeit, um als Initiative zu bestehen. Je größer die Stadt, desto schwieriger kann es werden, angesichts der Fülle der Angebote und Initiativen genügend Reichweite zu erhalten. Wenn hingegen bestehende Strukturen und funktionierende Netzwerke genutzt werden, kann daraus innerhalb kürzester Zeit etwas ganz Großes werden.
Leipzig helps Ukraine e.V. (LHU) ist ein großes Netzwerk von Ehrenamtlichen, das sich über Nacht mit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 gegründet hat und eine Anlaufstelle zur Koordinierung sowohl in Richtung der Geflüchteten als auch in Richtung der Stadt Leipzig darstellt. Gemeinsam versuchen die Engagierten, den Bedürfnissen der Ukrainer:innen bestmöglich zu begegnen und ihnen gleichzeitig zur Selbsthilfe zu verhelfen. Stefan Loidolt ist der einzige Festangestellte des Vereins, der ca. 50 Freiwillige hat, und hat bei einem Gespräch über Zoom von der Arbeit des LHU e.V. berichtet.
Ein solidarisches Netzwerk bei Telegram
Herzstück des Projekts sind die Telegram-Gruppen. Es existieren neun aktive Gruppen mit insgesamt ca. 10.000 aktiven Mitgliedern. Es gibt unter anderem eine Hauptgruppe, eine speziell für die ukrainische Community und eine zur Sprachmittlung.
Gegründet wurde der Verein von Boris Parasochka, der selbst ursprünglich aus der Ukraine kommt. Er hat das solidarische Netzwerk bei Telegram genutzt und über Nacht in diesem Netzwerk einen Aufruf gestartet – nach zwei Tagen fanden sich 30 Leute zu einem ersten Meeting zusammen. „So kamen viele Menschen in Leipzig zusammen […], die zuvor nie groß etwas miteinander zu tun hatten, einfach aus dem Gefühl heraus, aus diesem Drang heraus, nicht untätig zu bleiben in der Situation.”, erzählt Stefan Loidolt. Nicht alle hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Erfahrung im Bereich Flüchtlingsarbeit, Vereinsarbeit oder der Ausübung eines Ehrenamts. Die Gruppe hat sich zunächst einen Überblick darüber verschafft, welche Aufgaben auf sie zukommen könnten. Diese wurden je nach vorhandener Expertise verteilt, sodass sich jede Person in einem Bereich engagieren konnte, in dem sie sich auch auskennt. „Und so sind dann auch die Untergruppen und einzelnen Teams entstanden, und diese Teams haben dann relativ autonom agiert.", berichtet Stefan Loidolt. Das heißt, jedes Team hatte einen Teamsprecher bzw. eine Teamsprecherin, die dann in eine zentrale Gruppe mit allen Teamsprecher:innen Meldung gegeben hat. Danach habe es auch nicht mehr lange gedauert und es seien die ersten Geflüchteten angekommen, so Stefan Loidolt.
Gegenseitige Unterstützung und Vernetzung
In ihrer bisherigen Vereinsgeschichte hat Leipzig helps Ukraine e.V. mit verschiedenen Organisationen und Stiftungen zusammengearbeitet. Einige sind von selbst auf sie zugekommen nachdem sie von der Existenz des Vereins gehört haben. Stefan Loidolt erzählt, dass sie aber auch realistisch einschätzen konnten, in welchen Bereichen sie professionelle Unterstützung und Expertise brauchten und deshalb auf andere Organisationen aktiv zugegangen sind. Dafür sind auch diverse Ehrenamtsvernetzungen innerhalb der Stadt sehr nützlich. So haben sie zum Beispiel dank der Stiftung Leipzig hilft Kindern zwei geförderte Projekte organisieren und durchführen können. Zum einen das Projekt „Fit für die Schule”, einer Hausaufgabenhilfe mit extra Deutschkursen für ukrainische Kinder. Zum anderen das Projekt „Malyunky”, ein künstlerisch-kreatives Angebot für Kinder mit wöchentlichen Workshops, die nicht nur zur Freizeitbeschäftigung dienten, sondern auch zur Traumabewältigung.
Auch die Eberhart-Schock-Stiftung war ein verlässlicher Kooperationspartner des Vereins. Gemeinsam haben sie an einer Veranstaltungsreihe zu (kunst)handwerklichen Workshops mit Blick auf handwerkliche Ausbildungen gearbeitet.
Eduhub, ein ukrainisches Bildungszentrum, das mit Volkshochschulen in Europa kooperiert, hat der Verein LHU bei Sprachnachmittagen und Infoveranstaltungen in Leipzig unterstützt. Die Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig als solche verlief ebenso überwiegend positiv. Sie wurden sowohl bei der Vereinsgründung unterstützt als auch bei der Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit.
Nachtschichten für den Empfang der Ukrainer:innen
Eine große Herausforderung war es, das tatsächliche Ankommen und die Erstversorgung der Menschen zu managen, wie Loidolt erzählt. Besonders für die Ankunft der Leute am Bahnhof in Leipzig musste eine Lösung gefunden werden. Dafür wurde spontan eine sogenannte "Arrival-Gruppe" gegründet – sie hat die Menschen im Hauptbahnhof mit Schildern in Empfang genommen. Damit war es natürlich nicht getan. Zunächst wurden Corona-Tests gemacht, dann eine Lebensmittelversorgung bereitgestellt und für die ersten Tage private Unterbringungen organisiert. Das ganze wurde für 70 Tage, 24h am Tag so aufrechterhalten. Neben der Bundespolizei und der Deutschen Bahn hat auch das THW geholfen und ihnen bald einen Pavillon zur Verfügung gestellt. 160 Ärzt:innen haben sich über das Netzwerk in einer eigenen Telegram-Gruppe zusammengefunden und die Erstversorgung der Geflüchteten vor Ort übernommen. Das Vorhaben lag bis zu dem Zeitpunkt in der Hand des Vereins, in dem die Johanniter es offiziell übernommen haben.
Nachdem Leipzig helps Ukraine e.V. den ursprünglichen Vereinssitz leider aufgeben musste, inzwischen aber in einem soziokulturellen Zentrum in Leipzig aufgenommen wurde, ist die Herausforderung der Raumsuche erst einmal beseitigt. Für die Zukunft des Vereins stellt aber natürlich die Weiterfinanzierung und die nachhaltige Gewinnung von Ehrenamtlichen eine immerwährende Aufgabe dar.
Hilfe zur Selbsthilfe
Als Erfolg sehen Stefan Loidolt und seine Mitstreiter:innen an, dass sie nach wie vor im aktiven Austausch mit Geflüchteten stehen. „Sie wissen, dass wir ein verlässlicher Partner für sie sind und auch ein Stück weit Ansprech- und Vertrauensperson, was auch arge Probleme angeht.”, erzählt er. Die Ukrainer:innen wenden sich an den Verein, wenn sie Sorgen und Nöte haben, sei es beim Thema häusliche Gewalt oder Schwarzarbeit. Stefan Loidolt macht deutlich, wie wichtig es sei, dass die Menschen in Leipzig ein selbstbestimmtes Leben führen können. Das liegt in ihrem Selbstverständnis und wird daher stark vom Verein gefördert.
„An sich ist es so, dass unser größter Wunsch oder unser größtes Ziel und unser Selbstverständnis vom Verein auch immer war und ist, uns obsolet zu machen.”, berichtete Stefan. Der eigentliche Zweck des Vereins bestand in der Vernetzung und Unterstützung der Ukrainer und Ukrainerinnen, bis sie soweit angekommen sind, dass sie diese Unterstützung nicht mehr brauchen. „Es ist so, dass wir auch 2023 existieren werden, um auch weiterhin bei der Integration und den Bedarfen der Ukrainer:innen zu unterstützen.” Das betrifft sowohl integrative Veranstaltungen als auch weiterhin die Unterstützung des Eduhub und sämtlicher weiterer Kooperationspartner:innen. Auch humanitäre Hilfe in Richtung der Ukraine wollen sie leisten und arbeiten dabei mit den Vereinen Humanitäre Hilfe Ukraine e.V. und Ukraine-Kontakt e.V. zusammen.
Leipzig Helps Ukraine e.V. ist dabei, immer mehr ein nachhaltiges Netzwerk zu etablieren und gleichzeitig die bereits vorhandenen Netzwerke und Ressourcen zu nutzen. „Es ist natürlich nach wie vor eine super anstrengende Aufgabe”, meint Stefan Loidolt. Aber eine, die der Verein gerne angeht.
Kurzinfo
Standort:
Leipzig
Kontakt:
Verein Leipzig helps Ukraine e.V.
Magazingasse 3
04109 Leipzig
Website: https://leipzig-helps-ukraine.de/
E-Mail: info@leipzig-helps-ukraine.de
Tel.: +49 162 474 1903
Ansprechpartner:
Stefan Loidolt
E-Mail: stefan.loidolt@leipzig-helps-ukraine.de